„Tragwerksplaner können in Sachen Nachhaltigkeit viel bewirken“

DGNB Blog rund um nachhaltiges Bauen

von Pia Hettinger

Gebäude sind verbaute Masse. Und diese Masse beinhaltet wertvolle Ressourcen, die immer knapper werden und für viele CO2-Emissionen verantwortlich sind. Gerade Tragwerksplaner können den Materialverbrauch massiv reduzieren. Das sieht zumindest Professor Patrick Teuffel so. Wir haben mit ihm über gebaute Schwergewichte und den aktuellen Forschungsstand der Materialwelt gesprochen.

Pia Hettinger: Herr Professor Teuffel, Sie sind selbst als Tragwerksplaner tätig. Welche Rolle haben Sie im Bauprozess und wo liegen die Schnittstellen mit anderen am Bau Beteiligten?

Professor Patrick Teuffel: Im Volksmund kennt man uns ja eher als Statiker, wobei die Statik nur einen Teil unserer Tätigkeit umfasst. Im Grunde sind wir dafür verantwortlich, dass das Gebaute eine gut gestaltete, wirtschaftliche und angemessene Tragstruktur erhält und am Ende natürlich auch nachhaltig hält. Wir beschäftigen uns mit allem, was trägt: Wände, Decken, Stützen. Dabei sind wir im Austausch mit den Architekten oder auch den Haustechnikplanern. Welche Rolle wir dann im Detail einnehmen, hängt natürlich von der Bauaufgabe ab. Eine Brücke erfordert eine andere Planung als eine Messehalle oder ein Turm. Grundsätzlich sollten wir aber für eine integrative und damit optimale Planung von Anfang an mit dabei sein, also schon beim interdisziplinären Planungswettbewerb. Das ist in der Realität leider oft nicht der Fall.

Warum sollten gerade Tragwerksplaner ihre Rolle als Nachhaltigkeitsbeauftragte ernst nehmen?

Bei der Debatte um Nachhaltigkeit beim Bauen ging es lange Zeit vor allem um Energieeinsparung. Das große Thema von heute und morgen ist jedoch auch der Ressourcenverbrauch und damit verbundene CO2-Emissionen. Da 80 oder 90 Prozent der Ressourcen im Rohbau, also eben in Fundament, Decken, Stützen, Wänden, etc. stecken, hat der Tragwerksplaner viele Möglichkeiten, im Sinne der Nachhaltigkeit zu wirken. Im Tragwerk steckt die Masse. Diese können wir mit dem nötigen Wissen und einer entsprechenden Beratung enorm reduzieren.

Der relative Anteil an CO2-Emissionen der grauen Energie steigt im Vergleich zu den Emissionen aus dem Energieverbräuchen im Betrieb. © DGNB

Unsere Gebäude sind also absolute Schwergewichte.

Die Mehrzahl ja. Ein paar Zahlen verdeutlichen uns, von was für Massen wir beim Bauen sprechen. Die meisten Gebäude in Deutschland bestehen auch heute noch hauptsächlich aus Stahlbeton. Nehmen wir ein normales Wohngebäude mit zwei Stockwerken. Eine 20 Zentimeter dicke Betondecke wiegt 500 Kilogramm pro Quadratmeter. Dazu kommen schätzungsweise ca. 50 Prozent für Stützen, Wände und andere Bauteile. Ein gewöhnliches Wohngebäude wiegt also schon mehrere 100 Tonnen. Jetzt überlegen Sie mal, was für enorme Auswirkungen das hat, wenn wir pro Geschossdecke oder Wand ein paar Zentimeter einsparen können. Eine Studie der Institution of Structural Engineers: „How to calculate embodied carbon“ ergab übrigens, dass ein Tragwerksplaner im Jahr im Durchschnitt 200.000 kg CO2e einsparen kann, wenn der Fokus auf eine nachhaltige Tragwerksplanung gelegt wird.

Sollten wir grundsätzlich so leicht wie möglich bauen oder lohnt sich manchmal eine weitere Tonne?

Leicht zu bauen ist natürlich eine naheliegende Möglichkeit, um Ressourcen zu sparen. Symbolisch für die Leichtbauweise steht beispielsweise das Olympiastadion in München. Diese Membranbauweisen und textilen Konstruktionen funktionieren als Stadionüberdachung wunderbar, allerdings natürlich nicht für eine Geschossdecke im „normalen“ Gebäude. Die muss ja einiges tragen und sollte sich auch nicht maßgeblich verformen. Aber auch hier könnten wir durchaus leichter bauen, wenn wir das ungenutzte Potenzial der Optimierung zur Materialeinsparung nutzen würden. So liegt die Ausnutzung von Bauteilen in der Praxis oft nur bei 80 Prozent, obwohl 100 Prozent im wahrsten Sinne des Wortes tragbar wären. Mit einfachen Optimierungsstudien könnten wir sicherlich problemlos eine Materialeinsparung von 10-20 Prozent erzielen. Tragwerksplaner könnten hier viel mehr Aufklärungsarbeit leisten. Aber diese Studien kosten natürlich Zeit und Geld und sind (noch) nicht im Leistungsbild der HOAI abgebildet. Zu große Vorsicht und Unwissen sorgen also für unnötigen Materialverbrauch.

Welche weiteren Stellschrauben gibt es neben der Gewichtsreduktion in Sachen Ressourcenschonung?

Ein großes Potenzial liegt in der Wiederverwendung auf Material-, Bauteil- und Bauwerkebene. In Sachen Nachhaltigkeit ist Holz auf den ersten Blick vielversprechend: Es ist leicht, hat im Vergleich zu anderen Baustoffen eine gute CO2-Bilanz und ist nachwachsend. Verschiedene aktuelle Projekte zeigen, dass Holz auch für Hochbauten ein großes Potenzial besitzt. Aber Holz ist nicht unendlich verfügbar und auch nicht ganz billig. Deshalb müssen wir auch andere Alternativen in Betracht ziehen und in die richtige Richtung lenken. Bei den herkömmlichen Baustoffen lässt sich Stahl beispielsweise gut recyclen. Und beim Beton kann man zum Recyclingbeton greifen, denn die Qualität steht normalem Beton in nichts nach. Das Problem liegt hier noch in der Lieferbar- und Verfügbarkeit.

Mit Blick auf die Wiederverwendung von Bauteilen gibt es bereits wertvolle Forschungsansätze. An der Uni Eindhoven arbeiten wir beispielsweise daran, wie man Stahlbeton-Fertigteile von leerstehenden Bürogebäuden zu Wohnungen neu zusammensetzen kann. Betrachtet man das Bauwerk als Ganzes sollte das Umnutzungspotenzial oder eben ein möglichst sortenreiner Rückbau schon bei der Planung berücksichtigt werden. Die DGNB hat hierzu ja ein eigenes Zertifikat entwickelt: DGNB Gebäuderückbau. An der Uni haben wir eine Studie zum Umnutzungspotenzial von Bestandsgebäuden durchgeführt, die Eigentümern helfen kann, wichtige Entscheidungen zu treffen. Denn oft stehen diese vor der Frage, was sie mit ihrem in die Jahre gekommenen Gebäude tun sollen. Hier ist noch viel Aufholbedarf.

Sie lehren im Bereich „Innovative Structural Design“. Was steckt dahinter und wo stehen wir in der Materialforschung?

Das Besondere an unserem Fachbereich ist, dass er sich im Gegensatz zu Lehrstühlen wie Massivbau, Stahlbau, Holzbau und Aluminium nicht auf ein Material beschränkt. Vielmehr erforschen wir innovative Materialien. Ein Schwerpunkt liegt in der Anwendung von Smart Materials. Anschaulich wird dieser mit einem Prototypen, den wir gerade in unserem Labor testen: An einem dreigeschossigen Gebäude simulieren wir Erdbeben und variieren die Steifigkeit von Materialien und somit das dynamische Verhalten der Struktur. Smart Materials können diese verändern und damit adaptiv auf das Erdbeben reagieren. Das erlaubt weniger Materialeinsatz.

Hält stand bei Tag und Nacht: Die biobasierte Fußgängerbrücke an der TU Eindhoven wird rege genutzt. ©Tom Veeger

Die 14 Meter lange Brücke in Eindhoven besteht aus nachwachsenden Materialien. Hier erhalten Sie mehr Hintergründe zum Entwurf, Produktion und zum laufenden In Situ Monitoring: ©TU/e

Das “Smart Circular Bridge for a circular built environment”- Projekt nutzt nachwachsende Ressourcen auf innovative Weise. Mit Klick auf das Bild gibt’s mehr Informationen zum Projekt. ©Smart Circular Bridge for a circular built environment

Ein weiterer für unsere Zukunft entscheidender Schwerpunkt liegt in der Anwendung von biobasierten Werkstoffen wie Hanf, Flachsfasern oder biobasierten Harzen. Wir erforschen im Labor die mechanischen Eigenschaften und anhand von realen Brückenbauten wie sich die Werkstoffe im Lebenszyklus verhalten. 2016 haben wir in Eindhoven eine Fußgängerbrücke aus bio-basiertem Faserverbundwerkstoff entworfen und realisiert. Aktuell arbeiten wir an dem europäischen Interreg-Forschungsprojekt „Smart Circular Bridge for a circular built environment“ mit 14 Partnern. Bis 2023 realisieren wir hierfür drei Brücken aus bio-basierten Faserverbundwerkstoffen mit integrierten Sensoren, die in Echtzeit den Bauwerkszustand überwachen. Diese Werkstoffe haben definitiv das Potenzial das Bauwesen im Sinne von Klimaschutz und Ressourceneinsparung zu transformieren und können nach und nach die Verwendung von Beton reduzieren.